Das Zentrum des Wahnsinns

Wir hatten viel darüber gehört, wie kriminell P.P. sei und wie laut. Auch bei der Auswahl der Hotels schien es in den Preisklassen, die wir kannten kein einziges Hotel zu geben, dass nicht mit „extrem laut, Rotlichtviertel, Einbruch“ oder anderem bewertet wurde.
Fast alles sollte eintreffen, auch wenn wir uns bei der Ankuft in P.P. überhaupt gar nicht unsicher fühlten. Tatsächlich haben wir uns trotz des Diebstahls meines Portemonaies mit 200 Dollar und meiner Visakarte auf gerade mal 20 Metern zwischen Sandwichladen und Hotel nie unsicher gefühlt in der Stadt. Nicht davor, nicht danach.
Das mag auch daran liegen, dass uns arme Menschen keine Angst machen.
Anders sieht es aber mit dem Lärm aus. Unser Bright Lotus Guesthouse bot uns ein Zimmer auf dem Dach des 5.Stocks an. Treppen steil wie im Uboot und praktische kein Lärmschutz. Das lauteste Zimmer unseres Lebens, in dem man sich nur laut unterhalten konnte, weil die fünfstöckige Partybar hinterm Haus bis Mitternacht die Anlage auf Anschlag hielt, auf der Ballustrade vor unserem Zimmer, die jungendlichen Angestellten, die hier auf dem Boden lebten, schliefen und arbeiten, lauthals feierten, von unten der Verkehr hochdröhnte und die Wasserpumpe so laut hämmerte, dass es klang als würde eine uralte Waschmaschine im Schleudergang versuchen durch die Wand zu brechen. Dafür hatten wir einen erstklassigen Blick auf den Königspalast und hinten sah man sogar den Mehkong.

Armut
Die Kinder, die hier die Wäsche waschen, würden sonst wohl auf der Straße schlafen und so nächtigen sie hier in dem Raum mit der Waschmaschine hier oben auf dem Dach.


Die Armut in Kambodscha soll in den letzten Jahren von 59% auf irgendwas in den zwanzigern zurück gegangen sein und für uns ist noch längst nicht jemand arm, der in einer Wellblechhütte auf dem Boden schläft, wenn das seiner Lebensweise entsprechend ist und er überleben kann.
Unten am Eingang aber, unseres Hotels schlafen die alten Fahrradrikscha Fahrer, die bei uns längst in Rente wären unter ihren Rädern. Sie waschen sich an einem Schlauch einer öffentlichen Toilette, die es hier überall für die Bevölkerung gibt, da die meisten Häuser keine Toiletten haben (auf dem Land) oder sehr viele Menschen auf der Straße wohnen. Mehr dazu.
Man trifft überall auf Nichtasiaten (hauptsächlich Europäer), die angeblich oder tatsächlich beraubt worden sind und nichts mehr hätten und deshalb betteln.
Hier in P.P. war die Armut Kambodschas am stärksten zu spüren, denn der Unterschied ist hier gewaltig. Denn viele Kambodschaner scheinen sehr viel Geld zu haben und es fahren tausende riesige SUVs im Land, genauso wie es sogar Ferraries und Porsches gibt, wie auch immer die das auf den Straßen machen, aber diese Fahrzeuge bringen den Verkehr zum kollabieren, da weder Stadt noch Land auf diese großen Fahrzeuge in dieser Menge vorbereitet sind. Wenn sich sonst dutzende Tuktuk, Roller und Fahradrikschas aneinander vorbei und ab und zu mal an einem Auto vorbeidrängen, dann kommt der Verkehr bei 20 fetten SUVs bei einer drei Meter breiten Straße regelmäßig zum erliegen.



Wie schnell die Entwicklung geht kann man daran sehen, dass noch 2012 in P.P. keine Hochhäuser standen und jetzt chinesische Investoren hier wie überall im Land Wolkenkratzer aus dem Boden stampfen. Mit Casinos und Luxus soweit das Auge reicht.
Außerdem kaufen chinesische Investoren den Grund und Boden und erheben die Mieten auf den dreifachen Preis und verdrängt damit die einheimischen Mieter wie Restaurantbesitzer

Gleichzeitig machen immer mehr westliche Expats Bars und Restaurants auf. Die können sich das leisten und bieten das gleiche Essn für den doppelten bis dreifachen Preis an.

Dadurch steigt ganz allmählich der Preis für Essen in Kambodscha.
Genau deshalb ist es nicht knauserig sich immer nach dem günstigsten Essen umzuschauen, sondern eine verantwortungsvolle Handlung, um erstens das Geld dahin fließen zu lassen, wo es hin gehört und zweitens die Preise unten zu halten, damit die Einheimischen sich auch in Zukunft noch etwas zu essen kaufen können.

Den ersten Abend in P.P. schlendern wir an der erstaunlich ordentlichen Promenade am Mehkong entlang. Kaum Touristen, dafür genießen die Einwohner und erstaunlich viele junge Paare den Abend. Erstaunlich, weil in Kambodscha Innigkeit eigentlich nicht öffentlich gezeigt werden. Wir fühlen uns wohl. Am Ende der Promenade sehen wir fünf bis sechs Fähren gleichzeitig am Ufer Roller und Autos ein und ausladen. Ich schaue begeistert zu, wie die Autos rückwärts rausfahren müssen, während alle anderen zu den anderen Fähren sich vorbei drängen. Eine Fähre schafft es eine halbe Stunde nicht, das erste Auto auszuladen, weil immer neue Fähren kommen und die Autos sich in beide Richtungen vorbei drängen.
Wir sind richtig aufgeregt… „Jetzt! Schnell!!! Jetzt! Mach schon! Jetzt stell dich doch nicht hinter das Auto, das rausfahren will, um ihn rauszuwinken, wie soll er da raus fahren? Da kommt schon wieder eine Fähre. Oh man. Zu spät!“ Es dauert etliche Fähren.

Chaos


Ich fange an Pläne zu entwerfen wie man das besser machen könnte und denke „oh ich bin so deutsch“, aber ich verstehe auch wieso man uns deutsche immer für so organisiert hält. Aus der Sichtweise ist das natürlich auch keine so großartige Leistung.
Wobei ich den Kambodschaner definitiv nicht die kreative Lösungsoriertierung absprechen will, da sind sie uns weit voraus und das ist nicht ironisch gemeint. Wenigstens meistens nicht.

Wir sehen die riesigen chinesischen Hochhäuser an denen LED Wasserfall Animationen herunter laufen. Luxusrestaurants, Casinos und Shoppingmeilen. Nichts für uns.

Danach finden wir einen tollen Sandwichladen – geführt von einem schwedischen Iraner mit asiatischer Familie und dem besten Sternekoch des Landes, der hier aushilft, bekommen den Tip doch mal ins chinesische Casino zu gehen, wo der Koch arbeitet. Wir werden es uns überlegen. Eigentlich wollen wir das gerade nicht. Dann fallen wir ins Bett mit Ohropax und vielen Kissen auf dem Ohr.

Visum für Vietnam
Wir sind in P.P. nur weil wir ein Visum für Vietnam brauchen. Man kann als deutscher 15 Tage ohne Visum einreisen. Das reicht nicht. Oder ein E-Visum beantragen, da will man aber eine Ausreisegrenze wissen und die wissen wir noch nicht, ausserdem geht das nur für 30 Tage. Wir brauchen mehr und dafür müssen wir zur Botschaft Vietnams.
Normalerweise dauert das 5-7 Tage. Solange wollen wir nicht in P.P. bleiben. Ausserdem wird der Reisepass dann per Post an dich in Kambodscha zurück geschickt. Das Risiko gehen wir nicht ein.
So zahlen wir 60 Dollar statt 30 Dollar pro Person für den Expressservice neben der Botschaft und müssen so drei Nächte hier durchhalten.
Deshalb tuktukern wir zum Visabüro, dann zurück zum alten französischen Zentralmarkt und wir kriechen durch alte Märkte.
Auffällig ist, dass es in P.P. immer Straßen gibt mit den gleichen Läden nebeneinander. Eine Straße nur mit Apotheken, eine mit Schneidern, eine mit Friseuren…

Viele einzelen Männer kommen hier her. Man sieht auffällig viele Männer mit Kamodschanerinnen, die defintiv keinen Bock auf sie haben und nur am Handy hängen. Allerding hängt in diesem Land eh jeder nur am Handy, egal ob der dich gerade bedienen sollte oder fährt.
Der Sextourismus ist leider von Thailand, die sich versuchen, der speziellen Touristen zu entledigen hier rüber gerutscht. Und als Ute anfängt zu googeln, finden wir sofort deutsche Seiten, die voller Selbstsicherheit erklären wo man die „Girls“ findet. Was daran am schlimmsten ist, dass darin so gut wie alle Frauen als „Girls“ bezeichnet werden, die man kaufen könnte, also nicht nur die Sexarbeiterinnen. Seit die AFD in unserem Land die letzten Kreaturen hervorgebracht hat, von denen ich nie geglaubt hatte, dass es sie gibt, so wundert mich natürlich auch hier nichts mehr.

Wir gehen gegen Mittag ein Sandwich essen und dann zurück ins Hotel. Als wir im Zimmer wieder starten wollen fehlt mein Geldbeutel.
Auf der Straße waren keine Menschen in unserer Nähe und es waren nur wenige Schritte. Keine Ahnung wie das passiert ist. Aber ich war mal in Rom und die waren richtig gut. Die alternive Möglichkeit wäre, dass ich mein Handy auf dem Balkon vor unserer Tür im fünften Stock aus der Hose gezogen habe um ein Foto vom Königspalast zu machen und es da rausgefallen ist. Direkt vor meinem Zimmer. Und sollten es da die Jugendlichen gefunden haben, die hier auf dem Boden leben, wer sollte es ihnen verdenken.
Ich wünsche mir geradezu dass sie es gefunden haben oder einer der Fahrradrikscha Opas, die unten vorm Hotel in ihren Rikschas die Nacht verbringen.
Wir schauen mit dem Betreiber des Sandwichladens die Überwachungsbänder an und sehen darauf, dass ich es wirklich in die Tasche stecke.
Das Geld ist ärgerlich, die VISA ist ärgerlicher, denn sollte Ute jetzt ihre auch noch verlieren gibt s nur noch Notsysteme und ein Zusenden meiner Ersatzkarte ist nahezu ausgeschlossen.

Na egal. Abends gehen wir auf den Nachtmarkt, der auch fast nur von Einwohnern besucht wird und probieren hier zum erstem mal Zuckerrohr Saft, der direkt gepresst wird. Super. Besonders für Diabetiker 🙂


Wir wundern uns zum wiederholten male, dass die Einheimischen nicht selten in Pyjamas mit grellen Comicmustern drauf unterwegs sind und wir erfahren warum.



Wir checken noch die Busse aus und wundern uns, dass die Fahrt für 3 Stunden nach Kampot mehr kosten soll, als die mit 6 Stunden hierher, aber daran kann man nichts ändern. In erster Linie wollen wir überleben. Es gilt also zu ergoogeln und da sieht es nicht gut aus.

Am Ende entscheiden wir uns relativ spontan für Giant Ibis, die so eine Art Qualitätsbus darstellen und soviel soll schonmal gesagt sein, das ist auf der Strecke eine super Buslinie sogar mit Stewards an Board und sehr sicheren Fahrern. Dafür haben wir gerne 2 Dollar mehr bezahlt.
Warum zahlt man mit Dollar? Begründung.

Den zweiten Tag machen wir uns also doch auf ins Naga, das chinesische Großcasino. Wir fühlen uns fehl am Platz. Wir staunen über die unglauliche Schönheit, die am Eingang die Besucher begrüßt, über unglaublich viele Automaten, hunderte Roulette Tische an denen junge Kambodschaner in Kostümchen gequetscht auf Kunden warten, während ihnen fast die Augen zufallen, über digitale Blackjack Tische und unfassbar teure Restaurants. Über einen unterirdischen Tunnel, der mit Nobelboutiken aller einschlägigen Firmen vollgestopft ist, kommt man in den Naga2 Komplex. Dort soll das Essen bezahlbar sein und es stimmt.
Wir können uns nicht zurückhalten und so esse ich Sushi für 4 $ und Ute ein traumhaftes Auberginengericht. Zugegebenermaßen sehr gut. Dennoch können die Unterschiede kaum größer sein. Es scheinen allerdings eine Menge Arbeitsplätze enstanden zu sein.

Naga – das chinesische Casino:

Auf der Promenade an der Pier fallen uns eine große Menge an Frauen auf die eine noch größere Menge von kleinen Vögeln, Spatzen und ähnliche, in winzigen Käfigen durch die Gegend trägt. Die kleinen krallen sich, wenn möglich an die wenigen Stangen, während sie hin und her geschleudert werden. Das Internet berichtet darüber, dass man sie kaufen kann, um sie freizulassen und damit Glück zu haben.
Damit ist unser ursprünglicher Plan, der nur daran gescheitert ist, uns nicht für einen Käfig entscheiden zu können, einen ganzen Käfig aufzukaufen und alles frei zu lassen, gescheitert, denn damit würden wir das System nur unterstützen. Verdammtes System.



Am nächsten Tag holen wir unsere Visa ab und fahren zurück ins Hotel, holen die Rucksäcke und verlassen endlich diese Stadt mit dem Bus Richtung Kampot, wo alles viel relaxter sein soll und wo wir länger bleiben wollen und von da aus den Sprung nach Vietnam zu machen.